Autor: Prof. Dr. Andreas Kaplan, Rektor der ESCP Business School und Vorstandsmitglied im DFWK
Der digitale Wandel des deutschen Bildungssektors ist gleichermaßen zu beschreiben, wie der Ruf des (Hoch)schulwesens selbst: starr und resistent gegenüber Veränderung. Online-Unterricht war eine Seltenheit. Dozenten hatten großen Respekt davor, sich vor die Kamera zu stellen und Lehrveranstaltungen aufzuzeichnen.
Gründe dafür waren zum einen oft die Nichtvertrautheit mit der digitalen Welt und verfügbaren Medien, teilweise aber auch die Angst, sich selbst als Wissensübermittler überflüssig zu machen, sobald die Lehrinhalte jederzeit online verfügbar stünden. Hochschulleitungen hatten das Thema Digitalisierung seit Jahren auf ihrem Schreibtisch, gingen die Thematik aber Großteils sehr schleppend an.
Covid19 hat diese Situation radikal verändert. Innerhalb weniger Tage sahen sich Universitäten und Hochschulen plötzlich gezwungen, ihren gesamten Lehrbetrieb in die digitale Sphäre zu verlagern. Je nach Einrichtung passierte dies mit mehr oder weniger großem Erfolg. Corona hat das Digitalisierungsdefizit deutscher (Hoch)schulen nochmals in den Vordergrund gerückt und wird die digitale Transformation des Bildungssektors auch nach der Krise weiterhin stark vorantreiben. Sowohl Professoren als auch Hochschulmanagement sind mittlerweile bereit dazu.
Aber nicht nur allein das Bildungswesen, sondern ganz Deutschland und Europa hinken insgesamt in Digitalisierungsfragen hinter den USA und China hinterher. Diese beiden Weltmächte sind bereits wesentlich weiter im digitalen Wandel und haben damit klare Vorreiterrollen bei der Entwicklung, beispielsweise der künstlichen Intelligenz, eingenommen.
Deutsche und europäische Universitäten können und sollten hier unbedingt ihren Beitrag leisten, diesen immer größer werdenden Rückstand zu verringern und die europäischen Länder leistungsfähig für das digitale Zeitalter zu machen.
Die Zeichen stehen gut. Der Bildungssektor hat selbst gerade erlebt, was es bedeuten kann, digital nicht gut aufgestellt zu sein. Er kann deswegen gut einschätzen, was es heißen würde, wenn die gesamteuropäische Wirtschaft dauerhaft nicht in Digitalisierungsfragen mit den USA und China zumindest einigermaßen mithalten könnte.
Das Hochschulwesen kann hier eine entscheidende Rolle spielen und die Digitalisierung aktiv mitgestalten. Dazu sollte das Thema Digitalisierung in keinem Studiengang zu kurz kommen. Studierende sollten ein grundlegendes Verständnis der neuen Technologien erlangen und ein klares Bild von den zukünftigen Chancen aber auch Herausforderungen entwickeln, die die Digitalisierung mit sich bringen wird.
Ihr Einfluss auf Wirtschaft, Gesellschaft, aber auch Geopolitik sollte in den Vorlesungsräumen der Hochschulen diskutiert werden.
Fähigkeiten wie Programmieren, als auch die kritische Auseinandersetzung mit Datenmanipulation, dürfen in keinem Studienplan fehlen. Auch der Konflikt zwischen zu viel Datenschutz und globaler Wettbewerbsfähigkeit muss diskutiert und reflektiert angegangen werden.
Nur so können Studierende, also zukünftige Entscheidungsträger, intelligente Lösungen finden, die den Schutz unserer Daten ermöglichen und gleichzeitig auch europäische Unternehmen in die Lage versetzen, bei der Digitalisierung mitzuhalten und so der weltweiten Konkurrenz gewachsen zu sein.
Im eigenen Interesse sollte jeder Hochschule natürlich selbst daran gelegen sein, im Bereich der Digitalisierung Fortschritte zu machen. Aber auch Staat und Politik könnten hier noch vermehrt gezielte Anreizsysteme schaffen.
So könnten innerhalb der, aus einem Vorschlag von Emmanuel Macron entsprungenen, EU-Initiative zur Schaffung europäischer Hochschulen, also der Bildung transnationaler Allianzen bestehend aus mindestens drei Universitäten unterschiedlicher europäischer Länder, besonderer Wert auf die Digitalkompetenz des jeweiligen Hochschulverbunds gelegt werden. Auch die Deutsch-Französische Hochschule könnte, so weit möglich, digitale Thematiken und richtungsweisende Projekte besonders fördern.
Corona hat klar gezeigt, wie flexibel und anpassungsfähig der Bildungssektor sein kann, wenn es darauf ankommt. Hätte man vor der Krise behauptet, dass Hochschulen ihren gesamten Lehrbetrieb innerhalb kürzester Zeit von analog auf digital umstellen können, hätten es nur die Wenigsten geglaubt. CoVid19 zwang und zwingt Universitäten sich mit dem Thema Digitalisierung intensiv auseinander zu setzen und Potenziale voll auszuschöpfen.
Jetzt geht es darum, die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur für sich selbst zu nutzen, sondern auch als Chance zu verstehen, insgesamt das Digitalisierungsdefizit Europas gegenüber den USA und China zu vermindern. Es muss noch viel getan werden. Das Potential ist groß. Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, sind zukunftsweisend.