Im Rahmen einer dreiteiligen Veranstaltungsreihe in Kooperation mit dem Goethe-Institut Lyon, dem Deutsch-Französischen Wirtschaftsclub Auvergne Rhône-Alpes und dem Institut Français Leipzig, thematisiert der DFWK Berlin nach 30 Jahren deutscher Wiedervereinigung Geschichte und Perspektiven der deutsch-französischen Beziehungen von 1949 bis heute – jedoch aus ostdeutscher Sicht.
Im ersten Teil dieser Reihe diskutierten Prof. Dr. Ulrich Pfeil (Professor für Deutschlandstudien an der Universität Lothringen in Metz und Experte für die Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR) und Prof. Dr. André Steiner (Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Potsdam und Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung) mit der Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay (Leiterin des Programms Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik) über wirtschaftliche Aspekte der ostdeutsch-französischen Beziehungen von 1949 bis heute. Dirk Schneemann (Unternehmensberater und Vize-Präsident des DFWK Berlin) intervenierte als Zeitzeuge.
Die Entwicklung der ost/deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen wurde zunächst in den historischen Kontext eingebettet. Prof. Dr. André Steiner lieferte dazu einen Überblick über die Probleme der DDR-Wirtschaft und ihre Verbindung zum Außenhandel in ihrer Endphase.
Durch den Systemwettstreit zwischen den beiden deutschen Staaten habe die Bundesrepublik sowohl für die SED-Spitze als auch für die DDR-Bevölkerung den Bezugspunkt gebildet. Die Diskrepanz in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und auch im Konsumniveau habe wesentlich zur Erosion der SED-Herrschaft beigetragen. Zentrale Ursachen für diese Situation sei die Planwirtschaft nach sowjetischem Muster gewesen. Sie habe mit der Schwierigkeit zu kämpfen gehabt, adäquate Anreize zur Steigerung der Produktionseffizienz zu setzen. Darüber hinaus habe sich bei dem Versuch der Steuerung einer ganzen Volkswirtschaft ein gravierendes Informationsproblem ergeben. Diese systemimmanenten Probleme wurden durch weitere Faktoren verschärft, wie Prof. Dr. Steiner ausführte.
Folglich importierte die DDR aus dem Westen mehr als sie exportierte und musste sich mehr und mehr verschulden. Zunehmend wurde nach dem Motto „Exportierten um jeden Preis“ gehandelt. Frankreich war beim Export für die DDR nach der Bundesrepublik das zweitwichtigste westliche Land. Eine besondere Rolle spielte dabei neben den Außenhandelsbetrieben der Bereich Kommerzielle Koordinierung, der von den Restriktionen der Planwirtschaft und des Devisenmonopols weitgehend befreit war. So sollte er als besonders wichtig erachtete Güter sowie möglichst große Summen in harten Währungen beschaffen. Dieser Bereich hatte institutionell wie auch funktional eine Sonderstellung inne.
Vor dem Hintergrund der angeführten Entwicklungen standen die 80er Jahre im Zeichen eines schleichenden wirtschaftlichen Niedergangs. Um die (scheinbare) politische Stabilität in der DDR nicht zu gefährden, sollte es vermieden werden, den Lebensstandard abzusenken. Deshalb mussten letztlich Investitionen auf der Strecke bleiben, die Verschuldung stieg. Dadurch habe die wirtschaftliche Basis der DDR zunehmend auf tönernen Füßen gestanden, so Prof. Dr. Steiner abschließend.
„Die größte Möglichkeit, die Deutsche Demokratische Republik zu popularisieren, das Ansehen der Republik im kapitalistischen Ausland zu heben, um die diplomatische Anerkennung vorzubereiten, hat der Außenhandel.“ Dieses Zitat aus dem Jahr 1955 illustriert für Prof. Dr. Ulrich Pfeil, worum es der DDR im Außenhandel ging. Diese Ambition sei auch von französischen Deutschlandexperten durchaus wahrgenommen worden. So habe man in Frankreich von einem „zweiten Wirtschaftswunder“ in der DDR trotz der Reparationen gesprochen.
Die ostdeutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen waren vor allem von den Konjunkturen des Kalten Krieges abhängig, wie Prof. Dr. Pfeil erläuterte. Obwohl Frankreich als Akteur galt, der sich nicht auf eine Blockbindung festlegen wollte, orientierte es seine Deutschlandpolitik zunächst vor allem in Richtung der Bundesrepublik. Dazu kam die Tatsache, dass sich die DDR, auch auf sowjetischen Druck, von den westlichen Märkten teilweise zurückziehen musste.
Zunächst konnte es nur inoffizielle Wirtschaftsbeziehungen geben. Diese basierten auf einem Zahlungsabkommen zwischen der Banque de France und der Deutschen Notenbank der DDR. Um als souveräner Staat wahrgenommen zu werden, habe die DDR versucht, in den westlichen Staaten Handelsvertretungen zu errichten. Das „Ständige Büro der Leipziger Messe“ in Paris ist ein Beispiel dafür. Stück um Stück sei es der DDR somit gelungen, größere Aufmerksamkeit in Frankreich zu erreichen.
Nach der diplomatischen Anerkennung 1973 normalisierten sich die Wirtschaftsbeziehungen. Frankreich habe versucht, sich mehr in der DDR zu engagieren, die dort als Musterland in Osteuropa mit preußischen Tugenden gegolten habe. Ein wichtiges Feld, das die Beziehungen zwischen Frankreich und Ostdeutschland bis heute kennzeichnet, sei die Kooperation im Fahrzeugbau, u.a. mit Citroën und Renault. Reformorientierte Kräfte innerhalb der Staats- und Parteiführung der DDR hätten sich sehr auf Frankreich konzentriert, um beispielsweise den Fahrzeugbau in der DDR zu modernisieren
Dirk Schneemann legte als Zeitzeuge und einer der letzten Mitarbeiter der DDR-Handelsvertretung in Paris eine andere Sicht auf die beschriebene Entwicklung der ostdeutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen dar. Für ihn dränge sich vor allem aus heutiger Sicht der Eindruck auf, dass die Außenhandelsbeziehungen bzw. der wirtschaftliche Niedergang der DDR überwiegend das Resultat einiger Akteure der Staats- und Parteiführung der DDR gewesen sei, die den Sozialismus bis kurz vor Ende retten wollten. Diese Erklärung greife jedoch zu kurz decke aber nicht die ganze Breite des Spektrums ab.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und Zerfall der Antihitlerkoalition fielen die „alten Blöcke“ wieder in ihren Wettkampfmodus zurück. Es habe in der sowjetischen Besatzungszone ein „extrem krankes Kind“ gegeben, das hohe Reparationszahlungen leisten musste und gleichzeitig unter schwierigen wirtschaftlichen und strukturellen Voraussetzungen litt (keine Rohstoffe, kaum Schwer- und Grundstoffindustrie). Schneller Aufbau internationaler Wirtschaftsbeziehungen war die einzige Möglichkeit, gravierende Defizite im eigenen Lande auszugleichen. In Westeuropa habe es aber in den späten 40er und 50er Jahren einige Organisationen und Strukturen gegeben (Allied Travel Office, COCOM, Hallstein Doktrin), die das Experiment Ostdeutschland nicht mit offenen Armen empfangen wollten – wesentliche Ursachen dafür, warum der Außenhandel „staatlich“ organisiert werden musste, da einzelne Unternehmen auf dem Weltmarkt nicht agieren konnten und durften… Frankreich gehörte neben Österreich und Schweden zu den ersten Ländern „im Westen“, mit denen bilaterale Wirtschaftsbeziehungen aufgebaut wurden.
Der Mauerfall bedeutete ein abruptes Ende der bilateralen Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR. Bis heute fehlen in den neuen Bundesländern (im Vergleich zur alten Bundesrepublik) explizite deutsch-französische Strukturen zur Unterstützung und Beförderung der Wirtschaftsbeziehungen. Vor diesem Hintergrund warf Dirk Schneemann die Frage in den Raum, ob es nicht lohnenswert sei, auch hier entsprechende Strukturen zu schaffen – z.B. die Gründung eines „Deutsch-französischen Wirtschaftskreises Mitteldeutschland“… In einer Zeit, in der sich die europäische Wirtschaft aufgrund der Pandemie wieder auf Europa konzentriert, schien es den Anwesenden notwendiger denn je, die Beziehungen zwischen Frankreich und diesem Teil Deutschlands neu zu beleben.
Die Veranstaltung fand am 23. März 2021 mit Unterstützung des Deutsch-französischen Bürgerfonds online statt. Der nächste Termin der Veranstaltungsreihe ist eine Online-Debatte zum Thema „Französisch-Ostdeutsche Wirtschaftsbeziehungen – neue Impulse für Europa“ am 8. Juni 2021 und beschäftigt sich mit dem aktuellen Stand und den Perspektiven konkreter Wirtschaftskontakte. Weitere Informationen sowie die Einladung folgen.