Jean Rottner steht einer französischen Region vor, die besonders schwer von dem Coronavirus getroffen wurde. Beim Lunch-Gespräch des Deutsch-Französischen Wirtschaftskreises (DFWK) erklärt er, warum er die Krise trotzdem als Chance für Europa und die deutsch-französischen Beziehungen sieht.
„Dieses Virus ist von einem auf den anderen Tag über uns gekommen. Wir waren kein Cluster, sondern ein regelrechter Virus-Brennpunkt.“ So beschreibt Jean Rottner, Präsident des Regionalrats Grand Est die Geschehnisse um den 12. und 13. März 2020. Als innerhalb von 24 Stunden 200 Personen in Krankenhäuser eingeliefert wurden und 20 von ihnen verstarben.
Die Region Grand Est wurde durch die französische Gebietsreform im Jahr 2016 geschaffen. Dass sie direkt an der deutsch-französischen Grenze liegt, spielte in der Krise eine entscheidende Rolle.
„Ich hoffe, dass es keine Grenzschließungen im Schengen-Raum mehr geben wird“, sagt Rottner mit Bezug auf die Kontrollen an der deutsch-französischen Grenze, die vom 16. März bis zum 15. Juni 2020 andauerten. Grenzschließungen seien nicht nur ein „Schaden für die europäische Sache“, sondern hatten auch in der Krise konkrete negative Auswirkungen. „Man ist gezwungen, ins Krankenhaus nach Metz zu fahren, obwohl man auf der anderen Seite [der Grenze] sofort [in einem Krankenhaus] in Saarbrücken wäre“, kritisiert Rottner.
Rottner denkt über die Coronavirus-Krise und über seine Region hinaus: „Diese Krise zeigt, dass wir uns in Europa organisieren, austauschen und diskutieren müssen.“ Nicht nur, um die Krise zu bewältigen, sondern auch um wirtschaftlich gestärkt aus ihr hervorzugehen.
Ohne die USA und China explizit zu nennen, spricht Rottner den Konkurrenzkampf Europas mit diesen Ländern an. Ihm geht es um wirtschaftliche Souveränität, die er durch inneuropäische Kooperation erreichen möchte: „In Europa haben wir eine herausragende Expertise im medizinischen Einsatz von Künstlicher Intelligenz“ so Rottner. Und er nennt noch weitere Themen: Bei digitalen Technologien ist „Europa im Vorteil, durch seinen Fokus auf den Datenschutz.“ Und auch die Wasserstofftechnologie solle nicht ins Ausland abwandern: „Das ist kein Thema für ein einzelnes Land oder ein einzelnes Unternehmen. Das ist ein europäisches Thema.“
Rottner, der neben seiner politischen Karriere auch als Notarzt tätig ist, hat die verheerenden Folgen des Coronavirus für die Menschen seiner Region hautnah miterlebt. Und trotzdem kann er dieser Krise auch etwas Positives abgewinnen: „Wir sprechen wieder mehr miteinander. Und auch konkreter“, bemerkt er in Bezug auf die deutsch-französische Zusammenarbeit. Am 14. Juli dankte er zusammen mit der französischen Botschafterin in Berlin, Anne-Marie Descôtes, deutschen Helfern und Krankenhäusern, die Corona-Patienten aus Frankreich aufgenommen hatten. „Unser Kontinent ist es wert, für ihn zu kämpfen. Und dafür haben wir kein besseres Mittel als die Kooperation.“
Jean Rottner hielt seine Rede am 15. Juli während eines Lunch-Gesprächs vor Mitgliedern des DFWK. Der Verein und Präsident Joachim Bitterlich danken ihm herzlich für seinen Vortrag bei der ersten Präsenzveranstaltung des DFWK nach dem Corona-bedingten Lockdown. Der Dank des DFWK gilt auch den Mitgliedern des DFWK, die dem Verein die Treue gehalten haben, obwohl in der Coronakrise viele Aktivitäten online stattfinden mussten.