Laurent Couraudon ist ein erfahrener Finanzexperte und Leiter Unternehmenskunden Ost der BNP Paribas Niederlassung Deutschland in Berlin. Bei dem Webinar des DFWK Jugend zu den Folgen der Corona-Krise erklärt er, warum neben Gesundheit und Wirtschaft auch die Europäische Union in Gefahr sein könnte, wenn sie jetzt nicht schnell reagiert.
Laurent Couraudon, Business Center Manager der BNP Paribas, hat mit den Vorsitzenden des DFWK Jugend, Aaron Eucker und Laura König (vlnr), diskutiert.
Wie ist die Lage der Wirtschaft in Frankreich und Deutschland?
Laurent Couraudon steht täglich in engem Austausch mit Unternehmen. Als Bankier gehört es zu seinem Beruf, die Lage einzelner Unternehmen und der Gesamtwirtschaft genau zu analysieren. Die Lage der europäischen Unternehmen in der Corona-Krise hält er für schwierig, aber nicht katastrophal. Und das, obwohl diese Krise größer ist als die von 2008 bis 2012: „Wir haben einen unglaublichen Schock an der Börse erlebt. […] Das internationale Handelsvolumen hat weltweit schon um 32 Prozent abgenommen“. Zum Vergleich: „nach der globalen Finanzkrise 2008/ 2009 sank das globale Handelsvolumen nur um 12 Prozent“. Die deutsche Wirtschaft könne dieses Jahr um 4,5 bis 8 Prozent einbrechen. In Frankreich könne sie um 6 bis 8 Prozent schrumpfen und die Zahl der Pleiten um 15 Prozent steigen. Gleichzeitig warnt er vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der steigenden Arbeitslosigkeit: „Laut McKinsey kann die Arbeitslosigkeit in der Eurozone von 7,6% heute auf 10,4% steigen. Das gibt Anlass zu Besorgnis, wenn man sich erinnert, dass es nach der Finanzkrise 2008 10 Jahre in Europa gedauert hat, um den Arbeitsmarkt zu stabilisieren“.
Dabei seien nicht alle Branchen gleichermaßen betroffen: Am schwierigsten sei es für die Reisebranche und die Luftfahrt. Auch der Einzelhandel im Non-Food Bereich leide stark unter den aktuellen Einschränkungen. Besser sei es hingegen beispielsweise für Unternehmen im Bereich der Telekommunikation.
Wie geht es den europäischen Banken?
Anzeichen für eine Bankenkrise sieht Couraudon bisher nicht. Die Banken seien dank der Maßnahmen der EZB-in der Lage, die enorm gestiegenen Liquiditätsbedürfnisse europäischer Unternehmen zu bedienen. „Diese Krise geht nicht von den Banken aus, wir sind nicht im Jahr 2008“, erklärt Couraudon. „Die Frage ist aber, wie lange die Krise noch dauern wird“, gibt er zu bedenken. Langfristig seien vor allem Banken gefährdet, die schon vor der Krise zu viele Non-Performing Loans („Faule Kredite“) hielten.
Gelingt es den Nationalstaaten, die Wirtschaft zu stützen?
Die von der französischen und deutschen Regierung getroffenen Maßnahmen hält Couraudon für ausreichend, um den ersten wirtschaftlichen Schock zu amortisieren. „Wir sprechen hier von einem sehr beeindruckenden Programm. Wir haben in Deutschland 400 Milliarden Euro und in Frankreich 300 Milliarden Euro, um Unternehmenskredite zu garantieren“. Außerdem stünden Hilfsfonds für Unternehmen in Höhe von jeweils 100 Milliarden in Deutschland und Frankreich zur Verfügung.
Doch diese Maßnahmen haben ihren Preis. Die Staaten hätten in der Folge zum Teil mit hohen Haushaltsdefiziten zu kämpfen. In Frankreich etwa werde dieses Jahr mit 9 Prozent das „größte Defizit seit dem zweiten Weltkrieg“ erwartet. Damit steige die Verschuldung des Landes auf 115 Prozent des BIP. Deutschland, das bisher für seine „Schwarze Null“ bekannt war, erwarte ein Defizit von 4 Prozent. Die Verschuldung steige auf 70 Prozent des BIP. Damit sei das Land mit dem Versuch gescheitert, die Maastricht-Kriterien (Verschuldung höchsten 60 Prozent des BIP, Defizit höchsten 3 Prozent des BIP) einzuhalten.
Noch dramatischer sei die Lage in Italien, das 2020 eine Verschuldung von 155 Prozent des BIP erreichen könnte. Die Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF), Italien werde es gelingen seinen Schuldenstand im Jahr 2021 auf 150 Prozent des BIP zu reduzieren, hielten „andere Ökonomen für optimistisch. Sie glauben, dass sich der Schuldenstand Italiens auf 180 Prozent des BIP erhöhen wird“, so Couraudon.
Was bedeutet die Krise für Europa?
Die Institutionen der Europäischen Union helfen den durch die Krise geschädigten Mitgliedsstaaten mit verschiedenen Maßnahmen. Couraudon lobt insbesondere, dass die Europäische Zentralbank dank ihrer föderalen Entscheidungsstruktur so schnell reagieren konnte. Der Europäische Rat sei hingegen langsamer, fange aber auch an, angemessen zu agieren. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) stelle den Staaten Kredite in Höhe von 2 Prozent des BIP zur Verfügung. Dazu kämen Mittel aus einem 25 Milliarden Euro schweren Fonds der Europäischen Investitionsbank und Garantien für Bankenkredite in Höhe von 200 Milliarden Euro sowie 100 Milliarden zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherungen.
Das Problem: Laut Couraudon hat es die EU bisher versäumt, selbst direkt zu helfen. „Wir dürfen hier nicht eine einmalige Chance verpassen, den Bürgern zu zeigen, dass die EU für sie da ist“. Gerade in Italien und Spanien sei das dringend nötig. „Umfragen zeigen, dass die Hälfte der Italiener und der Spanier die EU verlassen wollen“, mahnt er. Dass nach Großbritannien auch diese Länder aus der EU ausscheiden könnten, hält er für ein mögliches Szenario, wenn Europa nicht schnell zeigt, dass es auch für sie da ist. Wenn die EU es nicht schaffe, den am schwersten betroffenen Regionen Hilfen zukommen zu lassen, stehe ihr eigenes politisches Überleben auf dem Spiel. „Betroffenen Regionen zu helfen bedeutet, die EU vor einer der größten möglichen Krisen zu retten“.
Das Gespräch fand als Webinar am 21.4.2020 statt.