Welche Lehren können wir aus der Corona-Krise ziehen? Wie können Deutschland, Frankreich und Europa gestärkt aus der Krise hervorgehen? Diese Fragen diskutierten die beiden Abgeordneten und Vorstandsvorsitzenden der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung Andreas Jung (MdB, CDU) und Christophe Arend (Député de la Moselle, LREM) mit dem CEO der Hager Group, Daniel Hager, beim Deutsch Französischen Wirtschaftskreis (DFWK).
„Die Corona-Krise hat uns unvorbereitet getroffen. Die Reaktion war deshalb eine national bezogene Lösung der Grenzschließungen“, räumt Andreas Jung gleich zu Anfang der Diskussionsrunde ein. Auf die Frage der Moderatorin und Vize-Präsidentin des DFWK, Bénédicte de Peretti, ob sich diese Strategie als richtig erwiesen habe, stellt er klar: „Wir haben gesehen, dass das bei zwei Ländern, die so eng zusammengewachsen sind wie Frankreich und Deutschland, mehr Probleme aufwirft, als es einen Beitrag zur Lösung leisten kann“. Daher habe er – auch als die Regierungen in Paris und Berlin noch an den Kontrollen festhielten – die Position vertreten, dass es „keine Schlagbäume im Herzen Europas, zwischen Deutschland und Frankreich“ geben dürfe.
Christophe Arend hat ebenfalls für eine schnelle Wiederöffnung der Grenzen gekämpft. Als Abgeordneter der Region Moselle an der Grenze zu Deutschland hat er die Grenzschließungen als besonders große Einschränkung erlebt: „Denn unsere Lebensrealität ist natürlich die, dass wir in zwei und manchmal drei Ländern leben“.
Doch obwohl die Grenzen heute wieder frei passierbar sind, stehen Unternehmer, die in Frankreich und Deutschland tätig sind, weiter vor großen Herausforderungen. Daniel Hager, CEO der Hager Group, die Werke im Saarland, in Rheinland-Pfalz und im französischen Elsass betreibt, ist ernüchtert. „Ich denke, da muss schon einiges mehr kommen […] Das ist im Moment äußerst kompliziert für die Unternehmen“, richtet er sich an die Politik in Frankreich und Deutschland. Ihm fehle vor allem die Planbarkeit: So herrsche in Frankreich Maskenpflicht in den Unternehmen, in Deutschland hingegen nicht. Auch würden manche Regionen von Frankreich als „rote“ Krisenregionen eingestuft, während das deutsche Robert Koch Institut diese Zonen noch nicht als Risikogebiete einordnet. Die Moderatorin Bénédicte de Peretti, die als Gründerin eines deutsch-französischen Beratungsunternehmens selbst häufig die Grenze überquert, außerdem darauf hin, dass sich jeder, der aus der Risikoregion Paris nach Deutschland reist, in Quarantäne begeben muss. Zur Lösung dieser unübersichtlichen Situation wünscht sich Daniel Hager europäische Regelungen oder zumindest Ausnahmen für Grenzregionen.
Mit dieser Forderung stößt er bei Andreas Jung und Christophe Arend auf offene Ohren. Beide Abgeordnete setzen sich im Gremium für Grenzüberschreitende Zusammenarbeit (GRÜZ) für konkrete Erleichterungen für Grenzgänger ein. Christophe Arend vertritt die Idee, dass Regionen, die stark vernetzt sind, auch gleichen Regeln unterliegen müssen. „Ich weiß, dieser Begriff kommt in Deutschland nicht gut an, aber ich bin der Meinung, dass es in Europa ‚Lebensräume‘ gibt, für die dieselben Regeln gelten sollten. Mein ‚Lebensraum‘ ist zum Beispiel Saar-Moselle“.
Trotz der Herausforderungen in den Grenzregionen betrachten Andreas Jung und Christophe Arend die Corona-Krise nicht als Krise der deutsch-französischen Beziehungen. Im Gegenteil: „Mein Erleben dieser Situation war wirklich, dass der deutsch-französische Dialog auf allen Ebenen viel dichter geworden ist“, erläutert Christophe Arend. Die Regierungen seien sich der Bedeutung der Grenzregionen bewusster geworden.
Positive Effekte erhofft sich Andreas Jung auch für eine Restrukturierung der Wirtschaft durch die Krise. Die Frage von Dirk Schneemann, Vizepräsident des DFWK, ob die Krise nicht für die Schaffung einer nachhaltigeren Wirtschaft genutzt werden sollte, beantwortet er zustimmend: „Das Ziel kann nicht sein, dass wir aus der Krise genauso hervorgehen, wie wir in sie hineingegangen sind. In Deutschland haben wir die Krisenbekämpfung mit dem Begriff Wumms umschrieben. Wumms mag richtig sein, um wieder hochzufahren, anzukurbeln, anzureizen. Aber neben Wumms brauchen wir auch […] eine Vitaminspritze, so dass wir insgesamt besser werden“. Als Beispiel nennt Andreas Jung den Bereich Umwelt- und Klimaschutz. Aber auch zukunftsweisende Technologien, wie Wasserstoff und künstliche Intelligenz müssten gefördert werden.
Einige Hoffnung setzen die beiden Abgeordneten in diesem Zusammenhang auf den von Frankreich und Deutschland angestoßenen Plan zum Wiederaufbau der Europäischen Wirtschaft und den EU-Haushalt der nächsten sieben Jahre. Dass die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu beiden noch aussteht, werten sie nicht als negatives Zeichen. „Wir erhoffen natürlich, dass es ein gutes Ergebnis gibt, auf Grundlage dessen, was die Regierungschefs beschlossen haben. Aber ich sage zweitens auch dazu: Ich habe Verständnis für die Kollegen im Europäischen Parlament, die sagen, wir sehen unsere Rolle nicht darin, einfach einen grünen Haken an etwas zu machen, was andere sich ausgedacht haben“, so Andreas Jung.
Der Unternehmer Daniel Hager sieht die Aufgabe der Politik weniger in einer umfassenden Förderpolitik, als in der Schaffung eines einheitlichen rechtlichen Rahmens: „Was man angehen müsste, ist eine gemeinsame Energiepolitik, künstliche Intelligenz ist auch ein wichtiges Thema, die Bankenunion ebenfalls […]. Und auch im Gesundheitsbereich könnte man deutsch-französische Standards schaffen“. Außerdem müssten die Regularien für junge Unternehmer angepasst werden, damit diese nicht in die USA abwanderten.
Daniel Hager warnt vielmehr davor, durch Förderprogramme ungezielt Geld auszugeben. Man müsse vermeiden, in eine Staatswirtschaft zu schlittern. „Wir müssen schauen, dass wir schnell zu einer marktwirtschaftlichen Grundordnung zurückkommen. Ich sehe das mit großer Besorgnis, was im Moment passiert: Die Staatsschulden, die in die Höhe steigen, die Wirtschaft, die immer weiter vom Staat finanziert wird, und das verzögert natürlich gewisse Probleme. […] mit Geld kann man natürlich Einiges kitten, aber nicht alles.“
Die Veranstaltung fand am 09.09.2020 als Webinar statt.