Matthias Platzeck (SPD), Chef der „Einheitskommission“ und langjähriger Ministerpräsident in Brandenburg, spricht über das Zusammenwachsen von Ost und West, Fehler im Einigungsprozess und die Arbeit seiner Kommission unter Corona-Bedingungen
(Das Interview erschien zuerst auf Wirtschaft-Markt.de)
W+M: Herr Platzeck, Sie leiten die Kommission „30 Jahre Deutsche Einheit“. Wie sieht die Arbeitsbilanz dieser Kommission aus?
Matthias Platzeck: Als die Kommission vor einem Jahr eingesetzt wurde, haben wir uns die Arbeitsweise und Bilanz natürlich anders vorgestellt, als sie sich jetzt vor dem Hintergrund der Corona-Krise abbildet. Die Bundesregierung gab uns zwei Hauptaufgaben mit auf den Weg: Zum einen, für dieses gesamte Jahr einen Plan vorzulegen, der dem Anlass gerecht wird – also Feste, Feierlichkeiten und Bürgerdialoge zu organisieren, aber auch die wichtigsten Ereignisse – oder „Meilensteine“ – der Jahre 1989 und 1990 durch Konferenzen und andere Veranstaltungen zu würdigen. Und zum anderen sollen wir der Bundesregierung Handlungsempfehlungen unterbreiten.
W+M: Welche Meilensteine waren der Kommission wichtig?
Matthias Platzeck: Dazu zählen die Gründung des Neuen Forums, der Tag der entscheidenden Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989, der Tag des Mauerfalls am 9. November 1989, die Volkskammerwahl am 18. März 1990, die Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990. Dazu der 12. September 1990, an dem der 2+4-Vertrag unterzeichnet wurde – und natürlich der 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit. Hier hatten wir viele spannende Dinge vorbereitet, die aber seit März aufgrund der Corona-Pandemie dann leider fast alle in den Papierkorb wandern mussten.
W+M: Konnten denn vorher überhaupt noch Veranstaltungen stattfinden?
Matthias Platzeck: Ja, einiges haben wir geschafft, etwa am 9. November 2019 den längsten Gesprächstisch des Landes entlang der ehemaligen Grenze von Lübeck bis nach Hof. Damit wollten wir einen Kontrapunkt zu den offiziellen Feierlichkeiten setzen, die sich ja meistens auf Berlin konzentrieren. Auch Konferenzen zum Beispiel anlässlich der Gründung des Neuen Forums und der Etablierung des „Runden Tisches“ konnten wir durchführen. Und die ersten der geplanten Bürgerdialoge fanden auch noch statt. Dabei haben wir alte Städtepartnerschaften zwischen Ost und West revitalisiert und Menschen aus diesen Städten zusammengeführt. Da ging es dann meist frohgemut, heftig und sehr diskursiv zu. Die Menschen hatten sich offenkundig etwas zu sagen.
W+M: Die Kommission soll ja aber auch über dieses Jubiläumsjahr hinauswirken.
Matthias Platzeck: Richtig. Bis zum Jahresende werden wir Handlungsempfehlungen erarbeiten, die sich auf den zukünftigen Umgang mit der Deutschen Einheit, dem Nationalfeiertag und den Feierlichkeiten beziehen, die ja der Gefahr unterliegen, rituell zu werden und die Gesellschaft zu wenig zu erreichen. Darüber hinaus betrachten wir Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung zwischen Ost und West. So geht es auch um das Problem, dass Ostdeutsche in wichtigen Positionen in Deutschland noch immer viel zu wenig vertreten sind.
W+M: Hand aufs Herz Herr Platzeck, wie steht es aus Ihrer persönlichen Sicht um die deutsche Einheit und das Zusammenwachsen von Ost und West?
Matthias Platzeck: Wenn man nüchtern auf die Ausgangsposition schaut, muss man zu dem Schluss kommen: Wir können alle sehr froh sein, dass es zur Deutschen Einheit gekommen ist und dass wir heute diesen hohen Entwicklungsstand haben. Das sage ich mit dem Blick darauf, was in der Welt um uns herum passiert und auch mit Blick auf die Ausgangssituation im Osten Deutschlands im Jahr 1990.
W+M: Damals sah die Lage überhaupt nicht gut aus.
Matthias Platzeck: Eben! Und darum würde ich mir wünschen, dass mehr Ostdeutschen als bislang klar wird, welche massive Kraftanstrengung durch sie in den vergangenen 30 Jahren vollbracht wurde. Wir haben aus dem Umbruch – der in Wirklichkeit vor allem ein Zusammenbruch war – einen Aufschwung gemacht, auf den wir heute wirklich stolz sein können. Was wir gemeinsam erreicht haben, ergibt heute wirklich genügend Stoff für ein deutliches ostdeutsches Selbstbewusstsein. Ich bin manchmal etwas neidisch auf die Bayern: Normale Babys kommen auf die Welt und machen irgendwann ihren ersten Schrei. Und Bayern rufen sie als erstes „Mia san mia!“ Ich finde, in den 30 Jahren ist so viel Positives im Osten Deutschlands passiert, dass wir uns diese Grundhaltung auch aneignen sollten.
W+M: Welche Defizite bleiben mit Blick auf die innere Einheit bestehen?
Matthias Platzeck: Einige. Denn natürlich wurden auch Fehler gemacht, teilweise sogar gravierende. Und manche Dinge dürfen nicht bleiben, wie sie sind.
W+M: Welche Dinge meinen Sie konkret?
Matthias Platzeck: Wir haben zum Beispiel sehr viel Kraft darauf verwendet, die DDR-Geschichte aufzuarbeiten. Jetzt spüren wir: Irgendetwas ist uns dabei nicht gelungen. Wir haben die Aufarbeitung fast ausschließlich auf die Fragen von Repression und Unterdrückung zentriert. Und haben dadurch zugelassen, dass das Leben in der DDR nur unter diesem Scheinwerfer betrachtet wurde. Ganz viele Menschen im Osten fanden aber andere Aspekte in ihrem Leben wichtig – Glück und Unglück in der Familie, Erfolge und Misserfolge im Arbeitsleben. Sie haben ein Leben gelebt und das oft sehr respektabel. Dieser Alltag, der die Erinnerung vieler Ostdeutschen prägt, ist in der nachträglichen Bewertung völlig untergegangen.
W+M: Viele sagen: Die Vereinigung fand nicht auf Augenhöhe statt.
Matthias Platzeck: Das stimmt ja auch. Und das ist ein zweites Problem, bei dem ein klarer Stockfehler gemacht wurde. Wir stellen heute fest, dass sich viele Menschen im Osten immer noch als „Bürger zweiter Klasse“ fühlen. Das ist psychologisch und kulturell belastend. Wenn man zwei Gesellschaften zusammenfügt, von denen eine objektiv klar überlegen ist, dann ist man klug beraten, den kleineren und schwächeren Teil nicht nackt und bloß dastehen zu lassen, als Bittsteller ohne eigene Leistungen und ohne Selbstwertgefühl. Regine Hildebrandt hat schon 1990 darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass die Menschen der unterlegenen Gesellschaft das Gefühl haben können, sie bringen auch was mit und sind nicht nur doof. Solche „Haltegriffe“ zu installieren, wäre auch volkswirtschaftlich preiswerter gewesen.
W+M: Welche Beispiele dafür fallen Ihnen ein?
Matthias Platzeck: Da geht es etwa um Strukturen im DDR-Gesundheitswesen, die man hätte erhalten können – und denen wir uns übrigens heute immer mehr annähern. Auch um Strukturen – nicht Inhalte! – im Bildungswesen oder bei der Kita-Betreuung. Dass wir das damals nicht beachtet haben, hat eine viel stärkere Wirkung, als wir bisweilen denken. Daraus ist bei vielen Menschen ein untergründiges Gefühl des Nichtangekommenseins entstanden.
W+M: Spielt auch das weiterbestehende Wohlstandsgefälle dabei eine Rolle ?.
Matthias Platzeck: Genau das ist mein dritter Punkt. Wir werden es sicherlich nicht schaffen, von Vorpommern bis zum Starnberger See ein absolut identisches Lebensniveau zu erzeugen. Das gibt es auch innerhalb des Westens nicht. Aber wir sollten sehr darauf achten, dass die strukturellen Möglichkeiten so verteilt sind, dass jeder die Chance hat, eine gute Entwicklung zu nehmen. Allen Menschen muss in ihrer eigenen Region eine gute Perspektive und ordentliches Auskommen möglich sein. Es geht einfach um ein positives Lebensgefühl.
W+M: Sie haben wiederholt beklagt, dass bis heute viel zu wenige Ostdeutsche in Führungspositionen gelangt sind. Wie könnte das geändert werden?
Matthias Platzeck: Das bleibt ein schwieriges Thema. In Debatten darüber sagt immer irgendwer: „Hört doch mal auf, am Ende geht es doch um Kompetenz.“ Aber wenn man das zu Ende denkt, hieße das doch: Die Ostdeutschen wären einfach zu doof. Das ist natürlich völliger Unfug. Einen nüchternen und viel treffenderen Satz zu diesem Thema hat Prof. Raj Kollmorgen geprägt: „Eliten rekrutieren sich immer aus Eliten.“
W+M: Was ist damit gemeint?
Matthias Platzeck: Na ja, wir haben in den neunziger Jahren zugelassen, dass die Eliten bei uns im Osten aus dem Westen kamen. Dafür gab es damals gute Gründe, alles sollte schließlich möglichst schnell wie im Westen funktionieren. Bloß: Jetzt reproduzieren sich diese Eliten immer wieder. Etliche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass diese Entwicklung auf das Selbstwertgefühl der Ostdeutschen drückt. Das ist ein echtes Problem, für das wir bis heute keine Lösung haben. Es gibt ja den gut gemeinten Vorschlag, eine „Ostquote“ einzuführen. Ich glaube nicht, dass das rechtlich machbar ist. Ich halte es nach 30 Jahren aber auch nicht für angemessen. Wir würden doch schon an der Frage scheitern, wer eigentlich Ostdeutscher ist.
W+M: Das Problem besteht trotzdem weiter.
Matthias Platzeck: Ganz klar, ja. Die zu geringe Repräsentanz von Ostdeutschen an wichtigen Positionen in Wirtschaft, Verwaltung, Politik bleibt ein ungesunder Zustand – übrigens nicht nur für den Osten, sondern für unser Land insgesamt. Aber eine Sofortlösung dafür sehe ich nicht. Wichtig ist, dass wir Problembewusstsein schaffen, am Thema dranbleiben und eine fortgesetzte öffentliche Debatte führen – und kleine Schritte gehen, wie zum Beispiel Mentorennetzwerke schaffen und ab und an auch kämpfen. Wie zum Beispiel bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichtes, wo jetzt zum ersten Mal jemand aus Ostdeutschland kommt.
W+M: Ihr politischer Lebensmittelpunkt liegt in Brandenburg, dort waren Sie erst Umweltminister und anschließend elf Jahre Ministerpräsident. Wie schlagen sich Ihre „Erben“ – speziell auf wirtschaftlichem Gebiet?
Matthias Platzeck: Also, ich kommentiere grundsätzlich nie die Arbeit von Nachfolgern – außer dass ich sie lobe (lacht). Im Ernst: Ich bin insgesamt sehr froh über die Entwicklung, die Brandenburg genommen hat. Vor allem angesichts der Ausgangsposition, die wir 1990 hatten. Wir waren strukturell ein sehr desperates Land. Wir hatten abgesehen von z.B. PCK Schwedt und EKO Eisenhüttenstadt gemessen an der Größe des Landes relativ wenig Industrie. In den neunziger Jahren gab es durchaus Zeiten, in denen wir uns öfter gefragt haben, wie es überhaupt weitergehen soll. Aber wir haben nicht nur Fuß gefasst, sondern uns sehr gut entwickelt. Das zeigt auch die Tesla-Ansiedlung, die jetzt in wirklich eindrucksvollem Tempo verwirklicht wird. Mich hat es übrigens sehr froh gestimmt, dass Tesla die Entscheidung für Grünheide auch damit begründet hat, dass Brandenburg ein Land der erneuerbaren Energien ist. Die Ansiedlung der BASF-Batteriefertigung in Schwarzheide wurde ähnlich begründet. Das heißt, viele strategische Entscheidungen, die wir im Vorfeld getroffen haben, tragen heute Früchte.
W+M: Das große Thema in Brandenburg war über viele Jahre hinweg die Arbeitslosigkeit.
Matthias Platzeck: Keine Frage, das betraf jede einzelne Familie im Land. Kein anderes Thema hat mich so umgetrieben. Im ersten Jahrzehnt der Einheit lag die Arbeitslosenquote ja noch bei bis zu 25 Prozent. Ich wollte unbedingt noch im Amt erleben, dass dieser Wert einstellig wird. Dass er heute zwischen fünf und sechs Prozent liegt, halte ich für absolut eindrucksvoll und wichtig. Denn damit sind ja auch andere Faktoren verbunden: Investoren schauen heute ganz anders auf dieses Land. Und Menschen aus Brandenburg die mal abgewandert sind, beginnen nun zurückzukommen. Das ist für uns ein Schatz, weil sie woanders Erfahrungen gesammelt haben, die uns jetzt zugutekommen.
W+M: Das klingt, als wäre Brandenburg eine einzige Erfolgsgeschichte.
Matthias Platzeck: Im Großen und Ganzen stimmt das ja auch. Noch zulegen müssen wir, was die weitere Erhöhung der Innovationskraft angeht, das weiß natürlich auch die Landesregierung. Wir müssen exportfähiger werden, und wir müssen die Fachkräfte ausbilden und anziehen, um diese Entwicklung voranzutreiben. Dabei hilft uns natürlich, dass wir die wachsende Metropole Berlin als „Motor“ in unserer Mitte haben. Und das sage ich, obwohl ich zugleich froh bin, dass es damals mit der Länderfusion nicht geklappt hat. Heute befruchten sich Brandenburg und Berlin gegenseitig. Im Ergebnis steht Brandenburg heute sehr stabil und zukunftsfähig da – der rote Adler hat ganz schön an Flughöhe gewonnen.
W+M: Seit sechs Jahren leiten Sie das Deutsch-Russische Forum. Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden, um das stark abgekühlte Verhältnis zwischen beiden Ländern konstruktiv zu intensivieren?
Matthias Platzeck:
Was da passiert, beschwert mich sehr. Frank-Walter Steinmeier hat es vor einem Jahr in Moskau bei der Übergabe der lutherischen Kirche sehr eindringlich formuliert: „Unsere beiden Völker unterliegen derzeit der Gefahr sich zu entfremden. Dieser Gefahr dürfen wir nicht tatenlos zuschauen. Insbesondere wir Deutschen nicht, vor unserem historischen Hintergrund.“ Mit diesen Sätzen hat er unsere Aufgabe klar konturiert. Wir haben nicht das Recht zu vergessen, dass Deutschland am 22. Juni 1941 den bis heute schlimmsten Vernichtungskrieg der Menschheitsgeschichte gegen die Völker der Sowjetunion vom Zaun gebrochen hat. Und wir haben kein Recht zu vergessen, dass diesem Krieg 27 Millionen damalige Sowjetbürger zum Opfer gefallen sind. Wissen Sie, ich bin Mitglied der Jerusalem-Stiftung und viel in Israel unterwegs gewesen. Und ich finde es völlig richtig, dass wir vor dem Hintergrund der sechs Millionen Holocaust-Opfer sagen, Israel und sein Schicksal gehören zu unserer Verantwortung und unserer Staatsräson. Aber ich frage mich auf der anderen Seite, warum die 27 Millionen Toten dieses Vernichtungskrieges nicht annähernd denselben Stellenwert in unserer Wahrnehmung und Politikgestaltung haben. Das ist der emotionale Aspekt, der mich umtreibt.
W+M: Was schlagen Sie mit Blick auf die künftige deutsche Russlandpolitik vor?
Matthias Platzeck: Das Hoffen auf bessere Beziehungen zu Russland steht und fällt natürlich damit, dass Russland nicht alle Voraussetzungen dafür zunichte macht. Deshalb muss die russische Regierung auch sehr genau aufklären, was im Zusammenhang mit dem Oppositionspolitiker Nawalny passiert ist. Darüber hinaus sollten wir uns angewöhnen, mit klarem Blick 15 bis 20 Jahre vorausschauen. Spätestens dann nämlich wird es zwei große Pole auf der Welt geben. Der eine wird sein Zentrum in China haben, mit Vietnam, Japan, Korea. Mit einer enormen Wirtschaftsstärke, mit hungrigen und innovativen Gesellschaften. Und es wird in Nordamerika einen zweiten Pol geben, mit den USA, Kanada und Mexiko. Dieser Pol wird militärisch weiterhin stark sein und die Finanzströme der Welt maßgeblich beeinflussen. Die offene Frage ist, ob es einen dritten Pol geben wird und wenn ja, wie dieser aussieht. Dieser Pol kann nur in Europa entstehen. Aber glaubt das fast rohstofffreie Europa im Ernst, diesen Pol allein bilden und zu internationalem Einfluss gelangen zu können? Oder wäre es nicht klüger, eine einigermaßen vernünftige Partnerschaft mit Russland zu pflegen – ein Russland, dass kulturell immer nach Europa schaute und immerhin über ein Drittel unseres Kontinents einnimmt? Stattdessen schieben wir Russland Schritt für Schritt in Richtung China. Die Chinesen nehmen das gern an, aber die Russen hätten davon meines Erachtens nichts – in Sibirien kann man das übrigens schon teilweise sehen. Wir sollten uns daher vielleicht auf die Strategie von Willy Brandt zurückbesinnen, der seinerzeit erfolgreich auf „Wandel durch Annäherung“ gesetzt hat.
W+M: Sie haben in diesem Jahr den Vorsitz der Jury für den erstmals verliehenen Preis „Vorsprung“ des Ostdeutschen Wirtschaftsforums übernommen. Wie wichtig ist dieses Wirtschaftsforum aus Ihrer Sicht hinsichtlich der Artikulierung gemeinsamer überregionaler ostdeutscher Interessen zwischen Rügen und Erzgebirge?
Matthias Platzeck: Ich finde diese Idee, die Sie haben und vorantreiben, sinnvoll, sehr gut und zeitgemäß. Der Hauptkatalysator für Wirtschaftsentwicklung in unserer Zeit ist der Faktor Netzwerk. Das merkt man immer mehr. Und das Netzwerk ist durch keinen anderen Faktor überbietbar. Schon früher gab es den schönen Spruch: „Die preiswerteste Investition ist der Meinungsaustausch.“ Das ist heute aktueller denn je. Darum bin ich sehr froh, dass der Preis, den das OWF in diesem Jahr erstmals verleiht, in die absolut richtige Richtung zielt. Wir haben jetzt 30 Jahre hinter uns. Das bietet Anlass für Fragen: Was war richtig? Wo müssen wir noch besser werden? Genau dazu passt der vom OWF vergebene Preis, weil Sie den Kernpunkt dessen benennen, was wir künftig besser machen müssen: Wir brauchen einen Vorsprung. In den vergangenen 30 Jahren haben wir aufgeholt und nachgeeifert. Das Nacheifern hat aber einen Pferdefuß – man bleibt immer knapp Zweiter. Weil der, dem man nacheifert, auch nicht stehenbleibt.
W+M: Aber wie kommt der Osten aus dem Modus des ewigen Nacheiferns heraus?
Matthias Platzeck: Mit Hilfe kluger Strukturentscheidungen und Weichenstellungen. Wir haben gerade im Moment die Chance einen eigenen Vorsprung zu katalysieren. Denn wir sind erstmals seit 1990 fundamental in der Lage, komplett neue Wirtschaftszweige zu installieren. Das hat etwas mit der Energiewende, der digitalen Revolution und auch mit der Umstellung der Mobilität zu tun. Durch mutige strukturpolitische Entscheidungen kann der Staat dem Osten zum ersten Mal einen wirklichen Vorsprung verschaffen – den die Unternehmen dann aufgreifen müssen. Und für diese Debatte ist das OWF ein wichtiger Motor.
Matthias Platzeck mit W+M Verleger Frank Nehring (l) und Chefredakteur Karten Hintzmann
Interview: Karsten Hintzmann und Frank Nehring