In diesem Jahr beleuchtet der DFWK im Zuge seiner Veranstaltungen die deutsch-französischen Beziehungen aus dem Blickwinkel der Europäischen Souveränität. Nach einer spannenden Online-Debatte zur Souveränität Europas im digitalen Bereich, wurde im April die Wasserstoffindustrie und hierbei speziell die Energieversorgung Europas in den Fokus gerückt.
Über den aktuellen Stand und Probleme, H2-Projekte in Europa zu platzieren, diskutierten Werner Diwald (Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverbandes), Antoine Aslanides (CEO von Hynamics Deutschland GmbH), Gilles Le Van (CEO von Air Liquide Deutschland GmbH) und Dr. Jens Sprotte (VP-Marketing/Strategie DACH, Alstom Deutschland GmbH) mit Cyriac Massué vom BMWI und Thomas Jeannin von der Französischen Botschaft in Berlin.
Wasserstoffdebatte = Klimapolitik?
Den „Boost“ für die aktuelle Wasserstoffdebatte gab es bereits 2015 mit dem Pariser Klimaabkommen, welches einen weltweiten Rahmen für den Diskurs geliefert hat, so Gilles Le Van. Diese Entwicklung wurde mit Hilfe des Green Deals auf europäischer Ebene sowie durch die nationalen Wasserstoffstrategien weiter konkretisiert.
Gleichzeitig scheint es im Diskurs über Wasserstoff in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel gegeben zu haben, meint Cyriac Massué. So hätten die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedsstaaten mittlerweile die Chance erkannt, einerseits Klimapolitik zu betreiben, aber auf der anderen Seite auch die Chancen neuer Märkte zu nutzen, die es zu erschließen gilt. Auch Thomas Jeannin betont: „Man darf nicht vergessen, dass es neben Dekarbonisierung auch Industrieziele gibt.“
Die Chancen, die sich dadurch bieten, seien enorm, so Werner Diwald. Denn „die Zahlen machen klar, über welche wirtschaftliche und industrielle Perspektive wir reden.“ So handle es sich allein in Europa um einen Arbeitsmarkt von 5,4 Millionen Arbeitslätzen bis 2050 – global seien es über 30 Millionen Arbeitsplätze.
„Terra Incognita“
Obgleich es sich bei Wasserstoff um ein vielversprechendes Thema mit zahlreichen Chancen handelt, bietet es auch einige Herausforderungen. Cyriac Massué spricht in diesem Zusammenhang von „multiplen Hennen und multiplen Eiern“: Einerseits sei die Bereitschaft von Unternehmen zu Investitionen und entsprechenden Strategien vonnöten; gleichzeitig brauche es von staatlicher Seite die entsprechenden rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen. Auch Antoine Aslanides hebt dieses Spannungsfeld hervor: „Um weiter zu investieren, müssen die Rahmenbedingungen weiter definiert werden.“
Dies zeigt sich am Beispiel des Schienenpersonennahverkehrs – ein Länderthema. „Der Personennahverkehr ist ein politischer Markt. Wir warten auf einen politischen Impuls“, so Dr. Jens Sprotte. Eine einheitliche Umsetzung auf Landesebene durch eine entsprechende Bundesinitiative sei nötig. Hierfür müsse die Bundesebene auch mit der Länderebene effizient verzahnt werden, meint Cyriac Massué.
In Anbetracht der Tatsache, dass 70% des deutschen Energiebedarfs importiert werden muss und dieser Bedarf nicht vollständig durch Erneuerbare Energien gedeckt werden kann, vermisst Werner Diwald eine politische Strategie – auch in Anbetracht des zeitlichen Drucks: „Da muss die Politik sich ein Stück weit ehrlich machen. Wir müssen uns mehr ehrlich machen.“ Denn Versorgungssicherheit sei ein Aspekt, der in der Wasserstoffdebatte oft vergessen werde.
Geostrategisches Potential von Wasserstoff
Neben dem Versorgungspotential von Wasserstoff sei aber auch die Erschließung von europäischem Erzeugungspotential ein wesentlicher Aspekt der Debatte. Denn Wasserstoff weise ein enormes geopolitisches Potential auf. Dr. Jens Sprotte hebt hier vor allem hervor, dass die einzelnen Sektoren des Energiesystems (Strom, Wärme/Kälte, Verkehr) integriert betrachtet werden müssen: „Sektorkopplung kann unser Exportschlager werden, wenn wir jetzt loslegen und nicht warten.“ Werner Diwald ist der Meinung, dass Transformationen in dem Bereich, unter dem Aspekt geostrategischer Perspektiven, auch ganz neue Impulse für die Europäische Union liefern können und vergleicht diese mit der Entstehung der Montanunion nach Ende des Zweiten Weltkrieges.
Die Panelisten sind sich einig: Wir befinden uns in einem globalen Wettbewerb. Länder wie China tauchten sehr konsequent in die Wasserstoffwelt ein und versuchten, sich globale Marktanteile zu sichern. Noch ist Europa Technologieführer – eine Position, die es dringend zu bewahren gilt. Vor diesem Hintergrund steht die Forderung der Gründung einer deutsch-französischen „Task-Force“ im Raum. Deutschland und Frankreich können die beiden Länder sein, die den Grundgedanken einer europäischen Wasserstoffstrategie noch einmal neu vorgeben und vorleben – auch um den internationalen Anschluss nicht zu verlieren.
Die Veranstaltung fand am 20. April 2021 online statt.