Unsere Energieversorgung heute und morgen
21. Februar 2023
Wie konnte die Energieversorgung im Winter 2022 gewährleistet werden? Wie gut waren wir vorbereitet? Welche Prognosen lassen sich für den kommenden Winter ziehen? Wie wird sich unsere Energieversorgung in Zukunft gestalten? Und sind die Ansätze, die aktuell verfolgt werden, überhaupt auf lange Sicht zukunftsfähig?
Frau Catherine Gras, CEO des Erdgasspeicherbetreibers Storengy in Großbritannien und Deutschland, Herr Nicolas Delaporte, Geschäftsführer bei GRTgaz Deutschland GmbH, und Herr Fabian Hoppe, Geschäftsführer sowie Leiter der Bereiche Kommunikation, Bildung und Nachhaltigkeit und Pressesprecher der Nordostchemie-Verbände (AGV Nordostchemie und VCI Nordost), diskutierten bei ihrem Besuch am 21. Februar 2023 vor den Gästen des Deutsch-Französischen Wirtschaftskreises (DFWK) umfassend über den Stand und die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland.
Rückblick: Energieversorgung im vergangenen Winter und aktuelle Lage
Nach einer kurzen, einführenden Darstellung der Biografien der Diskussionsteilnehmenden durch Frau Bénédicte de Peretti begann die Veranstaltung mit einer Bestandsaufnahme der aktuellen Lage der Energieversorgung Deutschlands, sowie der Situation dieser im vergangenen Winter.
Laut Catherine Gras haben wir den letzten Winter gut überstanden, die Erdgasspeicher seien noch zu 77% gefüllt. Allerdings gab sie zu bedenken, dass die Temperaturen in diesem Jahr jedoch auch wärmerer gewesen seien als gewöhnlich. „Nächstes Jahr kann es schon wieder ganz anders aussehen.“
Auch Nicolas Delaporte bekräftigte, dass wir aktuell zwar „aus dem Schneider“ seien, wir aber auch beachten sollten, dass bis Mai 2022 noch russisches Gas geliefert wurde, das unsere Speicher ausreichend gefüllt habe. Dies falle in diesem Jahr weg. Auch wenn er als großes Novum des vergangenen Jahres benenne, dass das Gas nicht mehr wie gewohnt von Osten nach Westen, sondern von Westen nach Osten floss: aus den belgischen, französischen und holländischen LNG-Terminals. Das Besondere am Gas sei grundsätzlich, „dass es speicherbar ist, anders als Strom.“
Fabian Hoppe äußerte seine Bedenken hinsichtlich der Meisterung des vergangenen Winters. Die Chemieindustrie sei sehr Energie- und Gas-intensiv. Gas wird in diesem Industriesektor nämlich nicht nur energetisch, sondern auch stofflich verwendet. Zu Beginn der Energiekrise war die Verfügbarkeit das größte Thema, es wurde an allen Ecken Gas eingespart. Um weiterhin international konkurrenzfähig produzieren zu können, seien aber die stark gestiegenen Preise sogar noch gefährlicher geworden, als die Verfügbarkeit. „Durch das Herunterfahren der Produktion [der Chemieindustrie im Winter 2022] kam es zu Produktionseinbrüchen von 10-15 Prozent, im Osten teilweise sogar noch höher.“, erklärte Hoppe. Doch die Auswirkungen könnten verheerend sein, denn ein Reißen von Produktionsketten würde Dominoeffekte mit fatalen Folgen auslösen. Als prominentes Beispiel führte Fabian Hoppe den Ammoniak-Produzenten SKW an. Deren Erzeugnisse werden sowohl für die Düngemittelproduktion aber auch für die Adblue-Produktion benötigt, einem Zusatzstoff, der für Diesel-betriebene LKW verwendet wird. Wenn die Ammoniak-Produktion zurückgeht, kommen unter anderem weniger Lastkraftwagen auf die Straße, was dann die Logistik und ganze Lieferketten beeinträchtigen würde, meint er anschließend.
Auf die Frage, wie Catherine Gras das Handeln der Bundesregierung im vergangenen Jahr einschätzt, antwortete sie mit den Worten: “Decisions had to be taken quickly, decisions were taken and they can be improved now.” In den ersten Krisenmonaten nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine habe man zunächst die Frage klären müssen, wie mit den Gaslieferanten weiter umgegangen werden sollte und wie der Zugriff auf die von Gazprom gebuchten Gasspeicherkapazitäten sichergestellt werden kann. Daraufhin stand im Mittelpunkt, die Gasspeicher für den Winter zu füllen und erst im Anschluss konnte man sich den hohen Preisen widmen.
Fabian Hoppe äußerte ebenfalls seine Anerkennung für die Leistungen unserer Bundesregierung. Er sei beindruckt, von der transparenten Fehlerkommunikation und der Öffentlichkeit der Nachjustierung getroffener Entscheidungen, wie der Gasumlage. Auch die Schnelligkeit und den Pragmatismus des grünen Wirtschaftsministers Habeck habe er so nicht erwartet. Man habe gespürt, dass auf Ratschläge der Wirtschaftsakteure ernsthaft eingegangen worden sei.
Auch Nicolas Delaporte schloss sich den Lobesworten der anderen beiden Podiumsteilnehmenden an. Er habe großen Respekt für unseren Staat und erachte die Flexibilität und die Reaktionsfähigkeit, die das grüne Ministerium als Krisenmanager an den Tag gelegt habe, als „begrüßens- und bewundernswert“. Die Gaspreisbremse habe erfolgreich den Dominoeffekt des andernfalls zu erwarten gewesenen Lehman-Effekts ausgebremst. Auch bei Wegfallen der Langfristlieferverträge mit russischen Erzeugern, bestünden die Versorgungsverpflichtungen der Unternehmen gegenüber den Abnehmern nach wie vor.
Fabian Hoppe merkte kritisch an, dass die Gas-Kommission zwar gute Ideen geliefert habe, es aber Mängel bei der Überführung dieser gäbe. Die Obergrenzen seien für große Verbraucher zu niedrig angesetzt, gingen also „an der Unternehmenspraxis vieler Unternehmen vorbei“, und auch der bürokratische Aufwand sei sehr groß. Es seien an vielen Stellen lediglich Zwischenlösungen gefunden worden, eine endgültige Lösungsfindung würde noch ausstehen. Trotz alledem habe die Politik gewissenhaft gehandelt und dem Druck der Öffentlichkeit standgehalten.
Von der Energiekrise betroffen seien vor allem Unternehmen wie WINGAS, sowie VNG in Deutschland und ENGIE in Frankreich – so Nicolas Delaporte. Dass staatliche Unterstützungen notwendig sein können, um das Überleben von Unternehmen zu sichern, welche die Grundenergieversorgung gewährleisten, sei keine Frage. So wurde Gazprom Germania GmbH 2022 vom Staat aufgekauft und SEFE Securing Energy for Europe geschaffen. Auch UNIPER konnte durch die Förderung der KFW und 17 Mrd.€ Staatsgelder erfolgreich aufgefangen werden.
Ähnlich äußerte sich auch Catherine Gras, die Stadtwerke müssten vor der Versorgungskrise „geschützt“ werden, die sie getroffen hätte, wenn SEFE und Uniper nicht finanziell unterstützt worden wären. Da diese beiden Unternehmen nun aber in den Händen der Regierung sind, betonte sie die Unsicherheit des Energiemarktes und die Notwendigkeit einer umfassenden Neuordnung.
Ausblick: Energieversorgung im kommenden Winter
Im vergangenen Winter habe man lediglich einen Rückgang des Gasverbrauchs von 16% vermerkt, welcher zudem vor allem auf die warmen Temperaturen und einen Rückgriff auf Kohle zurückzuführen sei – merkte Frau Catherine Gras an. In Zukunft müsse mehr dafür getan werden, den Umfang unseres Gaskonsums zurückzuschrauben.
Fabian Hoppe rechnet ebenfalls mit einem schwierigeren Winter als dem vergangenen. Er rät an, unsere Bezugsquellen zu diversifizieren und hierbei „vor der eigenen Haustür [anzufangen], anstatt bis nach Qatar zu blicken“.
Nicolas Delaporte ergänzte, dass die Gasinfrastruktur grundsätzlich anfällig für Probleme sei. Dass es im vergangenen Jahr also zu keinem Einbruch der Gaslieferungen aus Norwegen kam, sei keinesfalls gegeben. Auch das Auftreten Afrikas und Chinas als globale LNG-Lieferanten sei zu erwarten und werde den Wettbewerb anheizen.
Fabian Hoppe brachte Fracking in Deutschland ins Spiel. Auch weitere LNG-Terminals und Kohlekraftwerke sind für ihn mögliche Optionen. Man solle versuchen „alles, was geht ans Netz [zu] bekommen und am Netz [zu] halten“. Nicolas Delaporte hingegen hält Fracking für eine veraltete Idee.
Außerdem wies Nicolas Delaporte darauf hin, dass sich zwar 80% der Diskussionsanteile um Strom drehen würden, Strom aber tatsächlich nur etwa 20% unseres Energieverbrauchs ausmache. Die Diskussion um Kernkraftwerke sei für ihn demnach eine ideologische. Ein Abschalten der Kernkraftwerke zum 30. April sehe er als vertretbar, denn diese würden lediglich 3,5% unserer Stromerzeugung ausmachen. Sogar die deutschen Atomkraftwerkbetreiben seien gegen ein Weiterlaufen. Zudem seien Kernkraftwerke generell sehr unflexible Stromerzeuger, die man nicht einfach schnell hoch und wieder herunterfahren könne, je nach Bedarf. „Wir brauchen aber flexible Stromerzeugung, die zu Spitzenzeiten noch gesteigert werden kann.“ Für eine solche sieht er Biogas und Wasserstoff zukunftsbringend.
Fabian Hoppe warf ein, dass eine grundlastfähige Energieversorgung dennoch von größter Wichtigkeit sei. Auch mittel- und langfristig werde eine stabile Energieversorgung gebraucht. Er sehe nicht, dass Wasserstoff mittelfristig diese Lücken schließen können wird. Der Verbrauch von Strom und Wasserstoff werde bis 2045 allein in der Chemieindustrie so groß sein, wie er derzeit in Gesamtdeutschland ist.
Catherine Gras erwähnt ergänzend: Dass die Energiepreise wieder gesunken seien, sollte uns keinesfalls erlauben uns zurückzulehnen. Anstatt aufzuatmen, sollten wir die Zeit nutzen, um nach Lösungen zu suchen. Deutschland verfolge das Ziel der Dekarbonisierung und zeitgleich will es seine Industrie behalten, dafür muss eine Strategie gefunden werden. Eine dieser Lösungen für die Energieversorgung ist Wasserstoff, aber sie braucht Zeit und wird nicht ausreichen, ohne parallel dazu die Energieeffizienz zu fördern.
Weitblick: Zukunft der Energieversorgung
Nachdem die Podiumsdiskussion für das Publikum geöffnet worden war, begann sich die Debatte immer mehr um größere Zukunftsfragen zu drehen: Werden langfristig nicht gar disruptivere Innovationen benötigt werden? Wie sieht es aus mit Standortveränderungen der Industrien, näher hin zu den Energiequellen?
Als Antwort darauf betonte Fabian Hoppe, dass der Umzug von Chemiezentren schwierig umzusetzen wäre, hingegen sehe er aber einen erheblichen Wandel in Bezug auf Neuinvestitionen. Diese flößen mittlerweile auffallend stark in auf erneuerbare Energien und reduzierten Energieverbrauch ausgerichtete Produktionsweisen. Auch Norddeutschland werde aufgrund der vorhandenen erneuerbaren Energieerzeugungsmöglichkeiten für Neuansiedlungen immer attraktiver.