„Berlin – Ein Wirtschaftsstandort mit Zukunft?“ – diese Frage stand im Zentrum des gemeinsamen Neujahresempfangs des Deutsch-Niederländischen Business Clubs (DNBC) und des Deutsch-Französischen Wirtschaftskreises (DFWK). Wie jedes Jahr hatte der DFWK zu der Veranstaltung eine relevante Persönlichkeit des politischen Lebens eingeladen. Christian Gräff, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, überzeugte mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für Berlin.
„Um Berlins Zukunft zu betrachten, muss man zuerst einen Blick auf die Vergangenheit der Stadt werfen“, erklärte Gräff zu Beginn seines Vortrags. Denn nicht nur der zweite Weltkrieg, sondern auch die Folgen der deutschen Teilung prägten die wirtschaftliche Situation der Stadt bis heute. In den 1990er Jahren hätten widrige Umstände geherrscht: „1991 bis 2006 gingen in Berlin 260.000 Industriearbeitsplätze verloren. Hunderte Unternehmen haben Berlin verlassen“. Gleichzeitig seien 60.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut worden. Die Folge: „1995 lag die Arbeitslosenquote in Berlin bei 15%“.
Auch die Entscheidung, Berlin zur deutschen Hauptstadt zu machen, habe nicht sofort die erhoffte Kehrtwende gebracht. „Berlin war zuerst eine freie und günstige Stadt“, die vor allem für Studenten attraktiv gewesen sei. In Berlin gebe es schließlich über 70 wissenschaftliche Institute. In den letzten sieben bis acht Jahren habe sich dann ausgezahlt, dass viele dieser Studenten in Berlin geblieben sind und Start-ups gegründet haben. Mit diesen Gründungen sei auch das Investitionsvolumen in Berlin gestiegen. „Heute finden Ideen und Geld in Berlin zusammen“ resümierte Gräff.
Für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Berlin sieht Gräff verschiedene Tendenzen. Neben einer erhofften Stärkung des Tourismus, hob er die Bereiche Forschung und Mobilität hervor. Insbesondere die Zusammenarbeit von theoretischer und angewandter Wissenschaft sei in Berlin sehr stark.
Im Bereich Mobilität müsse Berlin Vorbild für Deutschland werden und dürfe nicht vor neuen Technologien zurückschrecken. „Hätten unsere Großväter so viel Angst vor neuen Dingen gehabt, wie wir heute vor dem Hyperloop – dann hätten wir heute keine U-Bahn“, karikierte Gräff die Debatte um neue Technologien. Dabei mahnte er an, Mobilität und Energieversorgung zusammenzudenken.
Zum Ende seines Vortrags richtete Gräff den Blick nochmal auf den Berliner Wohnungsmarkt, der aufgrund des hohen Zuzugs in die Stadt unter Druck steht. „Erst ist Berlin geschrumpft. Heute hat man fast zu viel Wachstum“, so Gräff. Offiziell ziehen jährlich nur 15.000 Menschen nach Berlin. „Ich schätze aber, dass in Wirklichkeit jedes Jahr ungefähr 100.000 Personen nach Berlin ziehen“. Der Großteil von ihnen werde von den Statistiken nicht erfasst, da sie nicht dazu verpflichtet sind, sich bei den entsprechenden Behörden zu melden. Dennoch trügen sie alle dazu bei, dass Berlin attraktiver werde. „Berlin ist und bleibt die tollste und geilste Stadt“, schloss Gräff.
Der Präsident des DFWK, Joachim Bitterlich, kommentierte den Vortrag umgehend: „Ich habe selten ein so gutes Plädoyer für Berlin gehört“. Auch er wies darauf hin, dass es Zeit brauche, um die Trennung der Stadt zu überwinden. Insofern sei Berlin mit keiner anderen Hauptstadt vergleichbar. Die Zukunft der Stadt liege nun vor allem in den Händen ihrer Jugend.
In der folgenden Diskussion ging es unter anderem um die Wohnsituation in Berlin und den bundesweit einmaligen Mietendeckel, der steigende Mieten eindämmen soll. Gräff warb trotz der gedeckelten Mieten weiter für Investitionen in den Immobiliensektor: „Bringen Sie Ihr Kapital nach Berlin, denn diese Stadt wird weiterwachsen“, appellierte er.
Die 80 Gäste des DNBC und DFWK diskutierten nach dem Vortrag noch angeregt bei Champagner, Wein und einem Buffet.
Der Neujahresempfang ist bereits das zweite Event, dass beide Vereine gemeinsam anbieten – und sicherlich nicht das Letzte. „Dass beide Vereine ihre Veranstaltungen gemeinsam machen, ist auch ein Zeichen dafür, dass das deutsch-französische Verhältnis nicht exklusiv ist“, bestätigte Catherine Rozan, Botschaftsrätin für Finanzen in der französischen Botschaft, die ebenfalls anwesend war. „Wir unterstützen das“.