Bénédicte de Peretti, Vizepräsidentin des DFWK
Was bedeuten die Ergebnisse der Regional- und Departement-Wahlen in Frankreich, die am 20. und 27. Juni stattgefunden haben? Für viele waren sie ein Stimmungstest für die Präsidentschaftswahl in zehn Monaten – auch wenn Staatschef Emmanuel Macron diese Lesart ablehnt. Der Einfluss der 13 Regionen Frankreichs (ohne Übersee) ist zwar nicht mit dem der deutschen Bundesländer zu vergleichen. Dennoch haben die Regionen in den Bereichen öffentlicher Verkehr, Bildung und Wirtschaftsförderung nicht unwichtige Kompetenzen. Daher sollte man die Relevanz dieser Wahl nicht unterschätzen.
Erste Erkenntnis: Die Franzosen hatten kein Interesse an der Wahl.
Die historisch geringe Beteiligung (33,3 Prozent im 1. Wahlgang und 34,69 Prozent im 2. Wahlgang) schadet der Demokratie. Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen und die Wahlen zur Assemblée Nationale 2022 muss eine kollektive Anstrengung der Parteien unternommen werden, um die Franzosen zu mobilisieren.
Zweite Erkenntnis: Die bürgerliche Rechte und die Sozialisten haben ihre Position verteidigt.
Die bürgerliche Rechte verteidigte die sieben von ihr regierten Regionen. Auch die Sozialisten hielten die fünf von ihnen geführten Regionen. Korsika verbleibt in den Händen der Unabhängigkeitsbewegung.
Außer in den Überseeregionen Martinique und La Réunion, wo es einen Wechsel zugunsten linker Parteibündnisse gab, wurden alle Regionalpräsidenten im Amt bestätigt. Das ist bitter für Präsident Emmanuel Macron und für die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die sich Hoffnung auf eine erstmalige Eroberung der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur gemacht hatte.
Dritte Erkenntnis: Die Grünen wurden durch die Wahlen gestärkt.
Insbesondere auf der Ebene der Departements hat sich die Zahl der von ihnen gestellten Regionalräte mehr als verdreifacht. Ein gutes Ergebnis, das den Grünen Aufschwung für die Wahlen in 2022 gibt.
Vierte Erkenntnis: Es war ein schwaches Ergebnis für Marine Le Pens RN, das die Partei nicht hat kommen sehen.
Offiziell wurde Marine Le Pen am 4. Juli als Präsidentschaftskandidatin des „Rassemblement National“ (RN) für nächsten April bestätigt. Aber die herben Verluste bei der Regionalwahl haben Zweifel an ihrer Wahlstrategie genährt.
Fünfte Erkenntnis: LREM, die Partei von Präsident Macron, hat ein Problem, sich zu verankern.
In den acht Regionen, in denen sich die Kandidaten von Macrons La République en Marche (LREM) Chancen ausmalten, landete die Partei auf dem dritten oder vierten Platz. Ein Schlag ins Gesicht für die Partei des Präsidenten, dem es seit seiner Wahl nicht gelungen ist, auf lokaler Ebene Fuß zu fassen. Gerade einmal 104 von fast 2.000 Sitzen in den Regionalräten konnten Vertreter von LREM gewinnen.
Kaum sind die Ergebnisse der Regionalwahl verdaut, befindet sich Frankreich schon mitten im Wahlkampf für das nächste Jahr.
Für die bürgerliche Rechte steht viel auf dem Spiel. Schafft sie es, einen Kandidaten zu finden, ohne sich in internen Streitereien aufzureiben?
Am meisten von sich reden macht Xavier Bertrand, der gerade wiedergewählte Präsident der Region Hauts-de-France, der allerdings kein Mitglied der Republikaner mehr ist und eine Vorwahl zur Festlegung des Spitzenkandidaten ablehnt. Neben ihm träumen auch die wiedergewählte Präsidentin der Region Île-de-France, Valérie Pécresse, und der ebenfalls wiedergewählte Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes, Laurent Wauquiez, von der Präsidentschaft. Zurzeit führt Bertrand in den Umfragen. Falls sich die Kandidaten in Grabenkämpfen aufreiben sollten, ist nicht ausgeschlossen, dass andere, wie zum Bespiel Michel Barnier, ihre Kandidatur erklären. Barnier war zuvor unter anderem französischer Außenminister, Vizepräsident der EU-Kommission und Brexit-Chefunterhändler der EU.
Emmanuel Macron hat nach der Wahl weitergearbeitet, fast als ob nichts gewesen wäre. Aber die gerade wieder deutlich gewordene Schwäche seiner Partei, die wie eine „umgedrehte Pyramide, auf ihrer Spitze ruht und keine Basis hat“, sorgt im Elyseepalast für Besorgnis. Macron will die Kontrolle wiedererlangen, indem er den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes verkörpert und eine positive Botschaft über den Aufschwung transportiert.
Dafür plant er auch, seine Reformpläne, das eigentliche Versprechen seiner Präsidentschaft, erneut anzugehen, die durch die Gilets Jaunes, dann durch die Corona Pandemie gestoppt worden sind.
Bis zur Wahl nächstes Jahr steht Macron vor dem Spagat, einerseits seine Reformagenda fortzuführen und eventuell die Rentenreform durchzubringen. Gleichzeitig kann er es sich nicht leisten, sich mit zuweilen schmerzhaften Reformen unbeliebt zu machen und Wählerstimmen zu verlieren – oder gar die Gilets Jaunes wieder auf den Plan zu rufen.
Kurz vor dem 14. Juli wird er wahrscheinlich eine „technische“ Umbildung seiner Regierung ankündigen sowie seine Roadmap für die letzten Monate seiner Präsidentschaft. Endes des Jahres will sich Macron dann vor allem auf die Europapolitik konzentrieren, da Frankreich ab 1. Januar 2022 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Kernthemen werden die Sozial-, Digital- und Klimapolitik sein.
Eine CO2-Grenzabgabe und ein europäischer Mindestlohn werden auf die Tagesordnung kommen. Auch möchte Macron die europäische Autonomie stärken. Das vollständige Programm der französischen EU-Ratspräsidentschaft soll Ende November vorliegen.
Die Zukunft der EU ist klar ein großes Anliegen Macrons. Seit seiner Rede an der Sorbonne-Universität im Oktober 2017 setzt er sich für eine Erneuerung der EU ein. Aktuell läuft die auch als Reaktion auf Macrons Sorbonne Rede gestartete Konferenz zur Zukunft Europas, bei der Bürger ihre Ideen zur Zukunft der EU einbringen können. Ein Projekt, mit dem sich sicher auch Macron profilieren möchte. Aber ihm bleibt nicht mehr viel Zeit, bis zu den Präsidentschaftswahlen am 10. und 24. April 2022.